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Das mazedonische Parlament beschließt die vom Ausland geforderten Verfassungsänderungen zur Verbesserung der Situation der albanischen Minderheit. Bis zuletzt übten EU und USA massiven Druck auf die Abgeordneten aus - jetzt sind alle erleichtert

Die Entscheidung ist gefallen. Das Parlament in Skopje hat in der Nacht zum Freitag mit einer überwältigenden Mehrheit von 93 der 120 Stimmen die notwendigen Verfassungsänderungen beschlossen, die den ethnischen Konflikt zwischen slawischen Mazedoniern und Albanern beenden sollen.

Nach starkem internationalem Druck wurden 15 Verfassungszusätze durchs Parlament gepeitscht, um das zwischen den albanischen und slawischen Parteien ausgehandelte Friedensabkommen von Ohrid in der Verfassung abzusichern. Lediglich in der Frage der Amnestie für ehemalige UÇK-Kämpfer sind noch Entscheidungen zu fällen. Doch wie es scheint, ist der Friedensprozess in Mazedonien gerettet worden.

"Es gab in der Tat einen Durchbruch, wir sind alle froh, dass dies geschehen ist", erklärte der Abgeordnete und Vizepräsident der albanischen Partei der Prosperität PPD, Dr. Azis Poloshani, gegenüber der taz. Auch der Vorsitzende der Demokratischen Partei der Albaner, Arben Xhaferi, zeigte sich erleichtert. "Wir haben die Verfassung verbessert, nun müssen wir daran gehen, die Mentalitäten auf beiden Seiten zu verändern, die zu dem ethnischen Konflikt geführt haben."

Parlamentarier der slawischen Seite zeigten sich ebenfalls erleichtert, äußerten sich aber vorsichtig und verhalten positiv, denn in der Bevölkerung gibt es noch immer große Vorbehalte gegen die Verfassungsänderungen.

Alle 14 Änderungen wurden mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit beschlossen, bis das Gesamtpaket nochmals zur Abstimmung stand. Noch Stunden vor der Abstimmung hatten die führenden Politiker der slawischen Seite versucht, auf zögerliche Parlamentarier aus den eigenen Reihen einzuwirken.

Vorausgegangen waren Gespräche zwischen den Vertretern der EU und der USA und den Mazedoniern, bei denen von internationaler Seite starker Druck ausgeübt worden war. Unter anderem wurden die wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen deutlich gemacht, wenn sich die slawischen Parteien weiterhin weigerten, den Verfassungsänderungen zuzustimmen.

In letzter Minute war ein Kompromiss bei Frage des Textes der Präambel der Verfassung gefunden worden, die bisher Mazedonien als Nationalstaat der slawischen Makedonier definierte. Jetzt heißt es: "Das Staatsvolk der Republik Mazedonien sind alle Bürger, das mazedonische Volk ebenso wie alle Bürger, die innerhalb ihrer Grenzen leben und zum albanischen Volk gehören."

Ab jetzt wird die albanische Sprache einen Status als offizielle Sprache im Lande haben. In jenen Gebieten, wo ein Fünftel der Bevölkerung Albaner sind, wird albanisch vor den Behörden als gleichberechtigte Sprache anerkannt. Die rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachende albanische Volksgruppe wird Zugang zum Staatsdienst und zur Polizei erhalten.

Erleichtert zeigten sich die Vertreter der internationalen Gemeinschaft. Nato-Generalsekretär Robertson sprach von einem "historischen Durchbruch", der Europarat zeigte sich befriedigt ebenso wie die Vertreter der EU. Der deutsche Außenminister Joschka Fischer sprach von einem "wichtigen Schritt nach vorne", der beispielhaft sei für eine "Politik der präventiven Konfliktlösung".

Auch Wissenschaftler und Intellektuelle in Mazedonien selbst zeigten sich zufrieden. Die Professorin für albanische Philologie an der Universität Skopje, Teuta Arifi, drückte stellvertretend für viele die Hoffnung aus, dass es nun zu einem fruchtbaren Dialog zwischen den Bevölkerungsgruppen in Mazedonien kommen würde. Jetzt müsste die Konfliktbewältigung auch "unten", auf der Ebene der gesellschaftlichen Gruppen, stattfinden, forderten auch andere Gesprächspartner. Die internationale Gemeinschaft sollte in diesem Zusammenhang bereit sein, zivilgesellschaftliche Initiativen von unten zu unterstützen.

taz Nr. 6603 vom 17.11.2001, Seite 11, 132 Zeilen (TAZ-Bericht), ERICH RATHFELDER

Sieben Dörfer: das Reich der UÇK

Die Familien in Shipkovica, einem Dorf im "befreiten Gebiet", leben hauptsächlich von den Überweisungen der Gastarbeiter, die in Deutschland leben

aus Tetovo ERICH RATHFELDER

Der Mann, der die Unruhen in Makedonien angeblich ausgelöst hat, heißt Nevsad Osmani. Der 72-Jährige ist bettlägerig. Er ist weder ein Kämpfer der UÇK noch sonst ein politischer Mensch. Aber heute gilt er als Held. Zumindest hier in Shipkovica, einem Dorf in dem "befreiten Gebiet", das zurzeit von der Nationalen Befreiungsarmee (UÇK) beherrscht wird und in den Augen der makedonischen Behörden die Brutstätte des Terrorismus ist.

Noch muss Nevsad Osmani sich von den Schlägen erholen, die ihm, wie er sagt, die makedonische Miliz zugefügt hat. Damals, vor vier Wochen, kurz vor dem Bajram-Fest, dem wichtigsten Feiertag der Muslime, wollte der Gläubige schon vor Sonnenaufgang in die Moschee. Aber draußen auf der Straße hätten ihm maskierte Polizisten aufgelauert, ihn geschlagen und ihn die 300 Meter hinunter zur Moschee geschleift. Auch zwei weitere Bewohner sollen malträtiert worden sein.

"Arbeit haben wir hier nix"

Das ganze Dorf war aufgebracht. Über 70 Polizisten seien gekommen, um den UÇK-Kämpfer Xhemal Basheri zu verhaften. Doch Nevsad Osmani und die anderen beiden Dorfbewohner sagten oder wussten nichts. Und so hätten die Polizisten von ihm abgelassen und seien unverrichteter Dinge davongefahren.

Das Ereignis schockierte die Dorfbewohner. Der Unmut wuchs. Und als die UÇK-Kämpfer vor einer Woche vom Nachbardorf Selce aus ihren Kampf gegen die makedonischen Streitkräfte begannen, konnten sie der Solidarität der Leute in Shipkovica gewiss sein. Die "Polizei", so sagt Jakupi, ein in der Schweiz arbeitender 40-jähriger Mann, "hat hier nichts mehr zu suchen." Das, was Nevsad Osmani zustieß, sei der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte. "Wir lassen uns die ständige Unterdrückung nicht mehr gefallen", sagt auch Vilier, der in Berlin arbeitet.

Viele Männer sind in den letzten Tagen aus dem Ausland zurückgekehrt in das Dorf, das sie vor vielen Jahren verlassen hatten. Zwar sind viele der Häuser neu gebaut oder renoviert, sogar die Straße ist gepflastert, "aber Arbeit haben wir hier nix", sagt Vilier. Die Höfe sind klein, ein wenig Landwirtschaft gibt es, etwas Schafzucht. Die Familien leben von den Überweisungen der Gastarbeiter, die vornehmlich in Deutschland und der Schweiz arbeiten. "Die Makedonier besetzen alle Positionen im Staat, hier gibt es keine Fabriken oder sonst was, wir alle müssen ins Ausland gehen", erklärt ein alter Mann, dem man mit seinem zerfurchten Gesicht, dem Albanerhut und den weiten Hosen nicht ansieht, dass er 35 Jahre lang in Köln gelebt hat. Als Rentner ist er in sein Dorf zurückgekehrt.

Das Dorf Shipkovica zieht sich einen Hang entlang, der im Norden in einen über 2.500 Meter hohen Gebirgszug mündet. Dort ist die Grenze zum Kosovo, dort gibt es einen Pfad zu dem Pass, über den der Nachschub für die UÇK-Rebellen "rollen" soll. Doch schon der erste Blick zeigt, dass hier bestenfalls Mulis ihren Weg finden können.

Alkohol ist streng verboten

Über der tiefen Schlucht des Flusses Shkumbimi ist das Dorf Selce zu erkennen. Im Süden taucht schemenhaft ein Teil der Stadt Tetovo auf. Deutlich ist weit unterhalb des Dorfs der Berg Kale zu erkennen, der seit Tagen von der Artillerie der Makedonier beschossen wird.

Das Reich der UÇK, das "befreite Gebiet", das seit einer Woche die Welt in Atem hält, umschließt lediglich dieses Tal, sieben Dörfer insgesamt. Und auf den Straßen ist bisher kein UÇK-Kämpfer zu bemerken. Der Pfad nach Selce führt steil den Berg hinab. An einer Kehre tauchen plötzlich Reiter auf: zwei lachende Mädchen in schwarzen Uniformen und ein zunächst finster dreinblickender junger Mann. Mit seinem UÇK-Käppi und der Kalaschnikow auf dem Rücken wirkt er bedrohlich, aber durchaus freundlich reicht er den Fremden die Hand und passiert.

Es ist dunkel geworden. Der Pfad schlängelt sich durch dichten Wald. Endlich ist die Brücke zum Fluss erreicht. Drei Gestalten gebieten Halt: ein Posten der UÇK. Nach kurzem Palaver wird der Weg ins Dorf Selce freigegeben.

In Selce gibt es keinen Strom. Nur schemenhaft sind die Soldaten zu erkennen, die hier an jeder Ecke zu stehen scheinen. Dunkel ist auch der Raum des Kaffeehauses, das voller Menschen ist. Der Rauch hat die Wände geschwärzt, die flackernden Kerzen schaffen eine eigentümliche Atmosphäre. Männer mit Albanerhüten, andere in Uniform, sitzen hier, die Waffen an den Tisch gelehnt, und trinken Tee. Alkohol ist streng verboten. Aber es wird heiß diskutiert. Und die Gespräche mit dem Fremden kreisen um die Frage, wie die Welt da draußen auf ihren Aufstand reagiert.

"Infanterie kommt hier nicht rauf"

Zu essen wird nichts angeboten. Auch nicht in dem Haus des wortkargen Gastgebers, dem bedeutet wurde, nicht zu viel mit dem Journalisten und den albanischen Begleitern zu reden. Lebensmittel sind knapp geworden in dem Gebiet, das von Tetovo abgeschnitten ist. Die Frauen und Kinder des Hausherrn lassen sich nur kurz blicken.

Am Morgen sind die Bewaffneten von den Straßen verschwunden. Lediglich vor dem Hauptquartier stehen einige Wachen. Die Artillerie der Makedonier in Tetovo dröhnt, das ist die am Vortag angedrohte Offensive. Die UÇK-Soldaten winken ab: "Lass sie doch schießen, hierher, auf den Berg, da kommen sie mit Infanterie und Panzern niemals herauf." Auf dem Rückweg mitten im Wald, nach der Unterredung mit dem UÇK-Kommandanten Sadri Ahmati (siehe Interview), pfeifen plötzlich Granaten. Eine schlägt in Selce ein. Die makedonischen Streitkräfte verfügen inzwischen offenbar über Artillerie größeren Kalibers als bislang. Im Dorf Shipkovica weiß man nicht, ob es Verletzte und Tote gegeben hat. Seit es keinen Strom mehr gibt, können auch die Mobiltelefone nicht mehr aufgeladen werden. Später, auf dem Rückweg nach Tetovo, sind Granateinschläge zu hören. Sie kommen aus der Richtung von Shipkovica.

taz Nr. 6403 vom 22.3.2001, Seite 4, 162 Zeilen TAZ-Bericht, ERICH RATHFELDER

  
 

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